Florian Cajori – ein Schweizer in Nordamerika

Florian Cajori war einer der bedeutenden Mathematiker seiner Zeit , er war ein berufener Lehrer und errang beruflich höchste Ehren und akademische Würden, B.Sc. , Ph.D. 1894 in New Orleans , D. Sc. E.h. New Orleans. Seine Forschungen der  Geschichte der Mathematik finden noch heute große Beachtung.

Er erhielt den ersten Lehrstuhl der Geschichte der Mathematik in den USA, und es ist ein Zeichen für seine hohe Reputation, daß dieser speziell für ihn eingerichtet wurde. Es war an der Universität von Kalifornien in Berkeley ab 1918.

Florian Cajori wurde am 28. Februar 1859 in St. Aignan  bei Thusis im Kanton Graubünden  geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte.


(Florian Cajori als Jugendlicher, wahrscheinlich noch in der Schweiz)

Mit 16 Jahren (1875) wanderte er nach Nordamerika aus, wo er eine bessere Ausbildung und ein besseres berufliches Fortkommen erhoffte. Die Schweiz war zu dieser Zeit wegen schlechter wirtschaftlicher Bedingungen ein Auswanderungsland und viele Schweizer suchten ihr Glück in der Neuen Welt. Zumeist aber unter sehr schwierigen Bedingungen, viele konnten z. B. die Überfahrt nicht bezahlen und mussten noch Jahre diese Kosten abarbeiten. Florian Cajori entstammte einer relativ wohlhabenden Familie, sein Vater war Ingenieur. Der junge Auswanderer hatte wohl nicht mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, und in Nordamerika fand er Aufnahme bei seinem älteren Bruder, der in gesicherten Verhältnissen lebte und ihn eingeladen hatte. Er ermöglichte ihm sofort ein weiteres Studium .

Florian Cajori studierte zuerst in Madison, Baltimore 1883 – 1885, wurde Ass. Prof. (1885) an der Tulane University  in New Orleans, dann dort ( mit 28 Jahren)1887 Prof. für Angewandte Mathematik. 1889 wechselte er nach Colorado Springs (College), wo er eine Professur für Physik angetragen bekommen hatte.


(Cajori als Mitglied der Fakultät im Colorado Springs College)

Dort wurde er Professor für Mathematik ab 1898, und ab 1918 Prof. für Geschichte der Mathematik an der Berkeley Universität of California.


(Cajori – Vierter von links – als Mitglied des Baseball Teams der Uni)

An dieser letzten  Stelle seines so erfolgreichen Wirkens, in Berkeley, verstarb er am 14. August 1930 .

Der Umfang seiner wissenschaftlichen Werke, Artikel, Vorlesungs-Berichte ist sehr beachtlich.

Im wesentlichen waren es Themen der Geschichte der Mathematik, aber auch aus der Physik.

In der Anlage kann man sein Gesamtwerk nachlesen.  Sein Interessengebiet war vielfältig. So schrieb er z.B. kleinere Artikel, wie „Spanish and Portuguese Symbols for Thousands“, „Newtons discovery of gravitation“, „History of Symbols for n-Factorial“, „Note on the Fahrenheit scale“, “ Mathematical signs of equality“; “ A list of Oughtred´s mathematical symbols“, „The zero and principle of local value used by the Maya of Central-America“, aber auch kurioserweise,  vielleicht in Erinnerung an seine Heimat, „Swiss geodesy & and the United States coast survey“: Seine wohl bedeutendsten Werke waren  seine „History of Mathematics“ und „History of Mathematical Notations.“

Uns soll aber vor allem seine wesentliche Beschäftigung mit der Geschichte des Rechenschiebers interessieren, für die er sein großartiges und epochemachendes Buch „A History of the Logarithmic Slide Rule and Allied Instruments“ schrieb (1909).

Es ist das Standardwerk der Rechenschieber-Geschichte bis zur Zeit seines Erscheinens, der „Katechismus“ für alle historisch interessierten Sammler.  Ich muß wiederholen, was aus meinem Buch  (Rechenschieber- eine Dokumentation) bekannt ist: Cajori hat in bewundernswerter Weise, alle Daten und Fakten der Zeit seit Edmund Gunter´s Erfindung der logarithmischen Skala (1620)  und der Erfindung des verschiebbaren Rechenschiebers durch Oughtred festgeschrieben.

Wichtige Personen, alle Modelle und die Literatur kann man in seinem Buch finden.

Eine Ergänzung fand es dann noch durch “ On the History of Gunter´s scale and the Slide Rule during the Seventeenth Century“. Hier setzte er sich u.a. auch mit dem Gelehrtenstreit auseinander, wem die Erfindung des Rechenschiebers mit verschiebbaren Skalen zuzurechnen sei. Er konnte eindeutig Oughtred ermitteln.

Erstaunlich ist die Fülle der Daten und Quellen, über die Cajori verfügen konnte und die er zum Nutzen seines Buches auswertete. Man bedenke, daß zu dieser Zeit Briefe wohl mehrere Wochen beanspruchten, um ihren Weg von und nach Colorado oder Berkeley zu finden. In der heutigen Zeit der Sekundenverbindung (e-mail) unfaßbar. Cajori hatte Kontakte zu bekannten Mathematikern in Europa.

Er erwähnt z.B: Prof. Mehmke, einen der wichtigsten Vertreter der Angewandten Mathematik in Deutschland, Prof. Perry, den großen englischen Mathematiker zu dieser Zeit.

Viele machten sich seine Daten zu eigen und erwähnten Cajori als Quelle. Es gelang ihm aber auch vielfältig die Literatur früherer Jahrhunderte zu beschaffen. So zitiert er in seinem Buch  viele wichtige Protagonisten und Verfasser von Rechenschieber-Büchern. Man muß sein Buch lesen mit seinen Fußnoten, um seine große Leistung zu begreifen. Er zitiert z.B. aus Dingler´s Polytechnischem Journal (Deutschland) , Nicholson’s Journal (England), er zitiert aus Briefen des großen deutschen Astronomen und Mathematikers Lambert (1728 –1777) also vor seiner Zeit, er zitiert aus einem Brief von Lambert an den berühmten deutschen Instrumentenbauer  Brander (1713 – 1783.)  Er schrieb an den Enkel von Gauss, der ihm auch antwortete. Oder noch ein Beispiel. In einem Artikel „History of the Exponential and Logarithmic Concepts“ nennt er auf den 9 Seiten in Fußnoten über 40 Autoren und deren Schriften, so z.B. F. Klein „Elementar-Mathematik vom höheren Standpunkt aus, I, Leipzig, 1908, p.325 oder er sagt : “ These explanations were printed for the first time in Grunert’s Archiv, Vol.26, 1856, p.323, in an article giving valuable historical notes relating to Bürgi.“

Man könnte unzählige solcher Beispiele bringen, die belegen, welch geradezu unwahrscheinliches Quellenstudium Cajori (und natürlich sein Team) betrieben haben und über welches geradezu grandiose Quellenmaterial er dann verfügte.

Cajori hat niemals selbst einen Rechenschieber entwickelt, was viele seiner berühmten Zeitgenossen der Angewandten Mathematik getan haben. Mehmke hatte „seinen“ Rechenschieber für komplexe Zahlen, Perry einen nach ihm benannten slide rule, einen der ersten log-log-Rechenschieber.

Cajori aber  hat durch seine Forschungen sicherlich nicht nur eine große Leistung für die Geschichte der Mathematik, sondern im besonderen für die Geschichte des Rechenschiebers vollbracht. Das ist ja das, was uns bei diesem außergewöhnlichen Menschen, dem jungen Schweizer Auswanderer, der  zu einem bedeutenden nordamerikanischen Gelehrten wurde, besonders interessiert.

Dieter von Jezierski

Die folgende Aufstellung stammt aus: J.C. Poggendorf’s  biographisches-literarisches Handwörterbuch für Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie und verwandte Wissenschaftsgebiete, Band V:1904 – 1922, Verlag Chemie GmbH, Leipzig/Berlin 1926