Facharbeit: Der Rechenschieber – Funktionsweise, Genauigkeit und Vergleich zu modernen Rechenhilfen

Facharbeit

Matthias Hengesbach

Mathematik LK, Jg. 12

Herr Meurer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Funktionsweise des Rechenschiebers

2. Rechnen mit dem Rechenschieber

2.1 Der Aufbau

2.2 Multiplikation

2.3 Division

2.4 Potenzieren und Radizieren

2.5 Mantissen

3. Genauigkeit und Abschätzungsproblematik

3.1 Skalen

3.2 Rechnerisch

4. Vergleich mit modernen Rechenmitteln

5. Der Nachbau

Fazit

Literaturverzeichnis

 

Einleitung

Der Rechenschieber war zunächst nur ein wage Vorstellung für mich, außer einer Vielzahl von Zahlen und Skalen. Es reizte mich über dieses Thema mehr zu erfahren. Was für unsere Eltern ein selbstverständliches Hilfsmittel war, ist uns Schülern heute unbekannt. In meiner Arbeit möchte ich mich mit der Funktionsweise befassen, um dann noch einen Nachbau zu erstellen. Zunächst werde ich das Prinzip des Rechenschiebers erklären, wozu allerdings gewisse Grundkenntnisse des Logarithmus erläutert werden müssen. Danach werden einige Rechenvorgänge erklärt, um das Rechnen mit dem Nachbau zu verdeutlichen. Nach diesen Schritten geht meine Arbeit näher auf die Genauigkeit des Rechenschiebers ein, verbunden mit der Ableseungenauigkeit. Zuletzt will ich noch einen kurzen Vergleich zum modernen Schultaschenrechner wagen, um die Bedeutung des Rechenschiebers für die damalige Zeit zu verdeutlichen. Den Schluss der Arbeit bildet der Nachbau, basierend auf den vorher erworbenen Grundkenntnissen.

1. Funktionsweise des Rechenschiebers

Der Rechenschieber wurde erst nach der Erfindung des Logarithmus (1614) durch John Napier (1550 – 1617) erfunden. Das Prinzip basiert auf dem Logarithmus, übertragen auf eine Strecke. Daher müssen zunächst die Grundbegriffe des Logarithmus erklärt werden, um die Funktionsweise näher erläutern zu können.

Der Logarithmus ist immer durch eine Basis, im folgenden a genannt, definiert.

Es gilt: y = aUm x zu errechnen, wird der Logarithmus angewandt: x = loga(y)

Ist die Basis a = 10 , so nennt man den Logarithmus Briggs’schen oder dekadischen Logarithmus.

Die Nachkommastellen des Logarithmus werden als Mantissen bezeichnet, als Kennzahl bezeichnet man die Ziffer vor dem Komma. Ist nun die Zahlenfolge des Logarithmus gleich, aber die Kommastelle verschoben (s. Bsp.), verändert sich nur die Kennzahl.

z.B.: log10 2,54 = 0,4048

log10 254 = 2,4048

Für das Rechnen mit dem Rechenschieber und dem Logarithmus gibt es vier wichtige Regeln.

    1. loga (u * v) = loga (u) + loga (v)

Der Logarithmus eines Produktes ergibt sich aus der Addition der einzelnen Logarithmen der Faktoren

    1. loga (u/v) = loga (u) – loga (v)

Der Logarithmus eines Bruches ergibt sich aus der Subtraktion von Zähler und Nenner.

    1. loga (ut) = t * loga (u)

Der Logarithmus einer Potenz ergibt sich aus der Multiplikation des Logarithmus der Grundzahl mit dem Exponenten.

  1. log(n-te-Wurzel(u)) = 1/n * loga (u)

Der Logarithmus einer n-ten Wurzel ergibt sich aus der Multiplikation des Logarithmus der Diskriminante mit dem Kehrwert von n.

 

Aus diesen Regeln lässt sich nun ableiten, dass der Logarithmus eines Produktes durch die Addition der Mantissen der logarithmierten Faktoren bestimmt werden kann. Um den genauen Stellenwert zu errechnen bedarf es einer Überschlagsrechnung. Daraus ergibt sich, dass wenn man die Gesamtlänge der Strecken der aneinandergereihten Mantissen misst, zu demselben Ergebnis kommt. Diese Erkenntnis wurde bei dem Rechenschieber umgesetzt. Die Mantissen sind in einer Skala aufgetragen. Da die Mantissen nicht linear anwachsen, hat die Skala eine ungleichmäßige Einteilung. Durch log10 (1) = 0 ergibt sich, dass die Skala mit 1 beginnt.

 

 

2. Rechnen mit dem Rechenschieber

2.1 Der Aufbau

Der Rechenschieber besteht aus einem Stabkörper, einer Zunge und einem Läufer. Auf dem Stabkörper und der Zunge sind die verschiedenen Skalen (später benannt mit Großbuchstaben) aufgetragen.

Der Läufer dient zum genauen Ablesen von weiter entfernten Skalen. Er ist durchsichtig und kann auf der gesamten Länge verschoben werden. Sein Markierungsstrich dient zum genauen Ablesen der Ergebnisse und eine zweite Markierung ist zugleich Umrechner zwischen kW und PS.

Ich gehe in meiner Arbeit von dem Rechenschiebermodell Aristo Scholar aus.

Auf der Zunge befinden sich die Skalen B, die zum quadrieren vorhanden ist, die Skala CI, die den Kehrwert angibt, und die Normalskala C. Auf dem unteren Teil des Stabkörpers sind die Skalen D, ebenfalls eine Normalskala, S, zur Berechnung von Sinus und Kosinus, ST, und T, für die Bestimmung von Tangens und Arcustangens aufgetragen. Der obere Stabkörperteil enthält die Skalen L, zur Bestimmung des dekadischen Logarithmus, K, die Kubikskala und A, eine weitere Quadratskala.

 2.2 Multiplikation

Bei der graphischen Addition wird zunächst durch eine grobe Überschlagsrechnung der Stellenwert errechnet (Im Beispiel: 12 1,5 = 18; 12 2 = 24, d.h. der gesuchte Wert liegt zwischen 18 u. 24). Danach wird die 1 der C-Skala über den gewünschten Faktor auf der D-Skala gestellt. Der zweite Faktor wird nun auf der C-Skala abgesteckt. Unter diesem Faktor lässt sich dann auf der D-Skala das Ergebnis ablesen. Bei ungenauen Ergebnissen kann auch der Läufer zur Ablesehilfe verwendet werden.

Im Beispiel wird 12 mit 1,6 multipliziert, woraus sich der Wert 19,2 ergibt. 12 x 16 wird genauso errechnet, dabei verschiebt sich nur das Komma um eine Dezimalstelle, also ergibt sich 192.

Bei einer Multiplikation von Werten, die so groß sind, dass man das Ergebnis nicht mehr direkt auf der D-Skala ablesen kann, muss man die 10 der C-Skala auf den Faktor der D-Skala einstellen. Stellt man sich die D-Skala nun links noch einmal angebracht vor, so stände die 1 der C-Skala ebenfalls über dem Faktor.

Nun kann man wie gewohnt den zweiten Faktor auf der C-Skala abtragen und das Ergebnis ablesen. Dieser Vorgang wird „Durchschieben“ genannt und führt immer zum Ergebnis.

(Beispiel: 9 * 9 = 81 ; Die 10 der C-Skala wird auf die 9 der D-Skala eingestellt und unter der 9 der C-Skala die 81 abgelesen)

2.3 Division

Die Division ist eigentlich nur die Umkehrung der Multiplikation. Der Zähler eines Bruches wird auf der D-Skala abgesteckt und der Nenner auf der C-Skala. Das Ergebnis kann dann gegenüber der 1 bzw. 10 auf der D-Skala abgelesen werden.

Der Rechenschieber macht es möglich, eine Division und eine darauf folgende Multiplikation direkt zu berechnen. Zunächst wird dafür, nach der bekannten Art, die Division durchgeführt und daraufhin sofort die Multiplikation, ohne Ablesen des Zwischenwertes.

2.4 Potenzieren und Radizieren

Bei diesen Rechenvorgängen wird die Zunge nicht verwendet. Die B-Skala ist die Quadratskala zu C, dasselbe gilt für die A-Skala zu D. Die beiden Skalen A und B sind aufgrund der Rechengesetze (siehe S.4; 4)halb so lang wie die D bzw. C Skala und daher zweimal hintereinander aufgetragen. Die Kubenskala K hat ein drittel der Länge und ist daher dreimal hintereinander aufgetragen. Sie bezieht sich auf die D-Skala.

Um einen Wert zu quadrieren, stellt man den gewünschten Wert auf der D-Skala mit dem Läufer ein (z.B.: 2,7) und liest auf der A-Skala, die sich auf dem oberen Teil des Stabkörpers befindet den quadrierten Wert ab (im Beispiel: 7,29). Um die Quadratwurzel eines Wertes zu bekommen, muss der Vorgang nur umgekehrt durchgeführt werden. Der Radikant wird auf der A-Skala eingestellt und das Ergebnis auf der D-Skala abgelesen. Zur Berechnung von xbzw. 3-te-Wurzel(x) dient, wie oben schon gesagt, die K-Skala.

2.5 Mantissen

Der dekadischen Logarithmus ist durch die L-Skala dargestellt. Sie ist die einzige lineare Skala auf dem Rechenschieber. Der gewünschte Wert wird auf der D-Skala mit dem Läufer markiert und die Mantissen können sofort auf der L-Skala abgelesen werden.

Die Rechenschieber verfügen noch über viele weitere Funktionen. Es gab viele verschiedene Modelle, die doppelt so groß waren, als der mir vorliegende Rechenschieber und deren Rückseite ebenfalls noch mit Skalen belegt. Die Zunge war ebenfalls doppelseitig mit Skalen belegt und macht durch umdrehen noch weitere Rechenoperationen möglich.

Zu den wichtigsten dieser Rechenmöglichkeiten gehören noch:

 

  • Die Trigonometrischen Skalen (cos, sin, tan, arc)
  • Die Umrechnung Gradmaß – Bogenmaß
  • Die Dreiecksberechnung (gegeben sind beide Katheten, Hypotenuse und Winkel sind gesucht)
  • Die Kehrwertskala (1/x)
  • Die Zinseszins Berechnung
  • Die Proportionen (Dreisatzberechnung)
  • Die Berechnung beliebiger Exponenten (y = ax)

 

  • Die Skalen CF u. DF, die π * x angeben

 

3. Genauigkeit und Abschätzungsproblematik

3.1 Skalen

Die sind Skalen der größte Ungenauigkeits-Faktor. Die Einteilungen (auf der D-/C-Skala) sind auf drei Stellen ausgelegt. Steht der gesuchte Wert dazwischen, muss geschätzt werden. Die Skala zwischen der 1 und der 2 ist in hundertstel Schritte geteilt (101, 102 usw.), d.h. die vierte Stelle hinter dem Komma muss geschätzt werden. Zwischen der 2 und der 3 sind die Schritte schon auf zweihundertstel ausgelegt (202, 204). Aufgrund des Logarithmus nehmen die Intervalle in ihrer Größe zur zehn hin ab, das Intervall [9;10] hat daher nur die gleiche Länge wie das Intervall [1;1,11]. So lässt sich zwischen 900 und 905 nur noch 9055 angeben, aber zunächst nicht genau sagen, ob der gesuchte Wert nun 9054 oder 9056 beträgt. Dies lässt sich im Intervall zwischen der 1 und der 2 natürlich genauer angeben.

Diese letzte ungenaue Ziffer lässt sich durch eine weitere Überschlagsrechnung bestimmen, indem man die letzten beiden Ziffern der Faktoren miteinander multipliziert:

24 * 36 = 86?

4 * 6 = 24

24 * 36 = 864

3.2 Rechnerisch

Der Ablesefehler lässt sich auch rechnerisch bestimmen. Man geht davon aus, dass ein gewissenhaftes Einstellen auf 1/20 mm möglich ist. Allerdings hat man dabei statt den gewünschten Wert x automatisch den fehlerhaften Wert x + h eingestellt. Somit errechnet man statt dem lg (x) in Wahrheit den lg (x + h). Bei einer Skalenlänge von 250 mm lässt sich h an der Stelle x durch die folgende Ungleichung angeben:

“ lg(1 + h/x) ≤ 0,0002 „

durch Umformung erhält man dann h/x = 1/2000 . Dies gilt für h größer und h kleiner Null.

Daraus folgerte Prof. K. Strubecker den Satz:

„Die relative Ablese- und Einstellgenauigkeit (h/x) auf der Hauptleiter des logarithmischen Rechenstabes hat an allen Stellen x denselben konstanten Wert, sie ist nämlich 1/2 ‰ des abgelesenen (eingestellten) Wertes x.

Die relative Ablese- und Einstellgenauigkeit h/x ist also unabhängig davon, ob man einen großen oder einen kleinen Wert x einstellt oder abliest.“

Dieser Satz soll durch ein Beispiel verdeutlicht werden:

Wenn für x = 3,44 gewählt wird, wäre der absolute Fehler 0,00172 (=3,44 * 0,0005). Also hat man eigentlich einen Wert zwischen dem Intervall von 3,438 bis 3,442 eingestellt.

Man kann also mit dem Rechenschieber auf allen Skalen relativ genau den gesuchten Wert ablesen.

 

 

4. Vergleich mit modernen Rechenmitteln

„Der Rechenschieber, das sind zwei unerhört scharfsinnig verflochtene Systeme von Zahlen und Strichen; der Rechenschieber, das sind zwei weiß lackierte, ineinander gleitende Stäbchen von flach trapezförmigen Querschnitt, mit dessen Hilfe man die verwickeltsten Aufgaben im Nu lösen kann, ohne einen Gedanken nutzlos zu verlieren; der Rechenschieber, das ist ein Symbol, das man in der Brusttasche trägt und als einen harten weißen Strich über dem Herzen fühlt.

Das Zitat von Robert Musil (1880 –1942) aus „Der Mann ohne Eigenschaften“ zeigt, welch eine Arbeitserleichterung der Rechenschieber für die damalige Zeit war. Zum einen war er eine ernorme Arbeitsentlastung, da viele Rechenoperationen sehr schnell und genau durchgeführt werden konnten, zum anderen ein Statussymbol, denn es bedarf einer langen Übung um schnell mit dem Rechenschieber zu Ergebnissen zukommen.

1967 wurden die ersten Taschenrechner von Hewlett & Packard entwickelt, 1970 hatten sie bereits weitaus mehr Funktionen als der Rechenschieber und die Preise sanken rapide.

Der Rechenschieber hielt sich noch aufgrund der hohen Nachfrage durch Schulen bis 1975, verschwand dann aber vollends vom Markt. Mit ihm auch einige namenhafte Hersteller, wie Dennert & Pape (ARISTO), die heutzutage unbekannt sind, in der Rechenschieberherstellung aber führend waren.

Der Taschenrechner kann natürlich, meist bis auf die 10. Stelle hinter dem Komma, die Werte genauer bestimmen. Dadurch ergeben sich aber auch schnell Rundungsfehler, die wiederum zu einem falschen Ergebnis führen. Aber trotz der modernen Technik lassen sich im normalen alltäglichen Gebrauch manche Rechenoperationen mit dem Rechenschieber immer noch schneller durchführen als mit dem Taschenrechner. Bei der Proportionenrechnung muss der Ausgangswert nur einmal eingestellt werden (z.B.: Maßstabsrechnungen) und alle Ergebnisse können direkt abgelesen werden.

 

 

5. Der Nachbau

Zunächst habe ich mir Holz als Werkstoff ausgesucht, da es im Gegensatz zu Metall leichter zu verarbeiten ist. Um eine möglichst gute Genauigkeit hinzubekommen, habe ich als Skalenlänge 50 cm gewählt, auch wenn dafür eine Unhandlichkeit in Kauf genommen werden muss. Das Grundgerüst des Rechenschiebers, der Stabkörper, besteht aus einer 60 mm breiten Holzleiste, auf der oben und unten zwei 20 mm Holzleisten fest geleimt sind. Die Zunge besteht aus einer weitern 20 mm Leiste, die durch zwei links und rechts angebrachte Holzstücke in ihrer Bahn gehalten wird. Der Läufer besteht aus einer Plexiglasscheibe, die auf zwei Führungshölzer geschraubt ist. Mit Hilfe der Tabellenkalkulation Excel habe ich mir eine Logarithmenreihe erstellt.

Als Intervall habe ich [0,05] gewählt (s. Anhang). Zunächst habe ich die Skalen auf Papier angefertigt, um sie dann auf das Holz zu übertragen. Hierfür habe ich das Holz zunächst grundiert, damit die Farbe nicht in die Maserung des Holzes einzieht und somit das Ablesen der Skala unmöglich macht. Danach habe ich die Skalen mit einem Folienstift auf das Holz übertragen.

Der Rechenschieber hat nur die Grundskalen (D, C, B, A, K), um das Funktionsprinzip bei einer Vorführung zu verdeutlichen. Mit mehr Skalen wäre das ganze Projekt zu groß geworden und hätte den Rahmen dieser Facharbeit gesprengt. Nach einer letzten Bearbeitung mit Klarlack, der auch die Gleitfähigkeit der Zunge erhöht und die Skalen fixiert, war der praktische Teil meiner Arbeit beendet.

 

 

Fazit

Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich noch sagen, dass mir die Arbeit mit dem Rechenschieber sehr viel Spaß gemacht hat. Als Einsatzgebiet kommen heutzutage lediglich kleinere Rechnungen, zum Beispiel Multiplikationen, Quadrate und deren Umkehrungen, in Frage. Große Zahlen und Rechnungen sind natürlich mit dem Taschenrechner schneller und bequemer zu berechnen.

Durch das Kennenlernen des Rechenschiebers habe ich den Themenbereich Logarithmus besser verstanden, als in der damaligen Unterrichtseinheit. Der Rechenschieber verdeutlicht die Anwendung des Logarithmus und könnte daher als Anschauungsobjekt in der Schule wieder eingeführt werden.

 

 

Literaturverzeichnis:

 

  • H. Sieber: Mathematische Begriffe und Formeln, Formelsammlung A, Klett
  • Karl Strubecker: Einführung in die höhere Mathematik, Bd. 1, Grundlagen, 2. verb. Auflage, München,Wien, 1966
  • Anleitung zum Rechenstab Aristo Scholar 0903
  • Dieter von Jezierski: Rechenschieber eine Dokumentation, Eigenverlag 1997
  • http://de.wikipedia.org/wiki/Logarithmus
  • http://de.wikipedia.org/wiki/Mantisse
  • http://www.zahlenjagd.at/artikel00.html