Rechenschieber und Normzahlen

Wem von den Rechenschiebernutzern oder –sammlern sind die manchen Rechenschiebern beigefügten Plastikstreifen mit den aufgedruckten Normzahlen nicht schon einmal aufgefallen ? Und wer konnte je nach seiner Ausbildung mit deren Nutzen wenig anfangen ? Mit den folgenden Ausführungen soll für die weniger Eingeweihten – wie mich als Chemiker - kurz auf die Normzahlen und deren Darstellung im Zusammenhang mit Rechenschiebern eingegangen werden.

Normzahlen (NZ) wurde zu Zeiten der Rechenschieberproduktion besondere Beachtung von der Firma Aristo geschenkt. Aristo begann in den 50er Jahren, den wissenschaftlichen Rechenschiebern der 9er- und 10er-Serien NZ-Maßstäbe (z.B. den Typen X9 und X67 bis X72) beizulegen. Die Ausführungen dieser Maßstäbe wandelten sich von einem blau-weißen Typ (wahrscheinlich vor 1953) zu zwei unterschiedlichen gelb-weissen Typen.

Ausserdem war ein Aristo 89 NZ (z.B. mit der Blindmarke G 547) im Handel, auf dessen Körperrückseite eine Mantissenskala und eine Normzahlenreihe R 20 aufgetragen sind.

Die Firma Nestler hat in späterer Zeit (60er Jahre) seinen Duplex-Rechenschiebern Plastikstreifen mit tabellarisch aufgedruckten Normzahlen beigefügt.

 

Als Einführung zu den nachfolgenden Ausführungen von E. Paulin möchte ich hier mehr auf die einfachen Zusammenhänge zwischen verschiedenartigen Reihen eingehen. Am besten ist die Unterscheidung diesen Reihen in dem Buch von Max Riedel "Normzahlen, Normmasze" 1951 erschienen im Verlag Technik, Berlin gelungen, aus dem ich nun die entsprechenden Abschnitte zitiere.

  1. Arithmetische Zahlenreihe
  2. Eine Reihe von Werten, bei denen der Unterschied aufeinanderfolgender Werte gleich ist, wird eine arithmetische Zahlenreihe genannt.

  3. Geometrische Zahlenreihe
  4. Eine Reihe von Werten, bei denen die Verhältnisse aufeinanderfolgender Werte gleich sind, wird eine geometrische Zahlenreihe genannt.

     

  5. Dezimal-geometrische Zahlenreihe

Eine Reihe von Werten, bei denen die Verhältnisse aufeinanderfolgender Werte eines Zehnerbereichs gleich sind, nennt man eine dezimal-geometrische Zahlenreihe.

Anmerkung: Der Begriff "Zahlenreihe" steht wohl für die mathematisch korrektere Form "Folge". Jedenfalls ist "Zahlenreihe" nicht zu verwechseln mit dem mathematischen Terminus "Reihe", bei dem es sich um die Darstellung von Summierungen von benachbarten Gliedern z.B. einer "Folge" handelt.

Tabelle zur Verdeutlichung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Reihentypen.

Stufung

arithmetisch

geometrisch

dezimal-geometrisch

 

 

 

 

Anfangsglied

10

10

10

 

 

 

 

1. Glied

10 + 20 = 30

10 * 1,6 = 16

10 * 1,5849 = 15,849

2. Glied

30 + 20 = 50

16 * 1,6 = 25,6

15,849 * 1,5849 = 25,119

3. Glied

50 + 20 = 70

25,6 * 1,6 = 41

25,119 * 1,5849 = 39,811

4. Glied

70 + 20 = 90

41 * 1,6 = 65,5

39,811 * 1,5849 = 63,096

5. Glied

90 + 20 = 110

65,5 * 1,6 =105

63,096 * 1,5849 = 100

 

20 ist der gleich-bleibende Unterschied benachbarter Glieder

1,6 ist das gleichbleibende Verhältnis benachbarter Glieder

1,5849 ist das gleich-bleibende Verhältnis benachbarter Glieder in einem Zehnerbereich

 

Wie man rechnerisch zu Unterschied und Verhältnis gelangt, ist eindeutig zu erkennen. Die gewählten Werte 20 und 1,6 ergaben sich dadurch, dass im Intervall 10 bis 110 fünf (5) gleichmäßig verteilte Glieder sein sollten. Also im arithmetischen Falle mit einem Unterschied von (110 – 10) : 5 = 20; im geometrischen Falle ergab sich mit einer 60 %igen Vergrößerung der beste Wert der Wahl, also der Vervielfältigungsfaktor 1,6.

Das dezimal-geometrische Verhältnis kam dadurch zu Stande, dass als obere Grenze der Wert 100 gesetzt wurde, der einfach besser in unser dezimal-metrisches Maßsystem passt. So konnte man in einem Zehnerbereich (von 10 bis 100) bleiben, d.h. der Endwert von100 entspicht genau dem 10-fachen des Anfangsgliedes 10.

Der Vervielfältigungsfaktor X für die dezimal-geometrische Reihe wird dann auf folgende Weise ermittelt:

das Anfangsglied

=

10

das 1. Glied 10 * X

=

10 X 1

das 2. Glied 10 X * X

=

10 X 2

das 3. Glied 10 X2 * X

=

10 X 3

das 4. Glied 10 X3 * X

=

10 X 4

das 5. Glied 10 X4 * X

=

10 X 5

     

Mit 10 X 5 = 100 (unserem Endwert) ergibt sich für X 5 = 100 : 10 = 10.

X = 5√10

oder Logarithmus X = 1/5 * Logarithmus 10

lg X = 1/5 * lg 10

lg X = 1/5 * 1 = 0,2

X = 1,5849

Bei einer dezimal-geometrischen Zahlenreihe wird dieser Vervielfätigungsfaktor auch Stufensprung genannt. Die sich durch Multiplikation mit diesem Stufensprung ergebenden Nachbarglieder werden als Genauwerte bezeichnet. Für die Praxis werden diese Genauwerte gerundet und heissen dann Hauptwerte oder Normzahlen, in unserem Beispiel wären das 10, -> 16, -> 25, -> 40, -> 63, -> 100.

Aus dieser Ableitung sind folgende Lehrsätze zu gewinnen:

  1. Der Stufensprung ist 5√10 = 1,5849, wenn der Zehnerbereich in 5 geometrische Sprünge (->) unterteilt ist.
  2. Der Wurzelexponent 5 gibt die Anzahl der Glieder in einem Zehnerbereich an (ohne Anfangsglied).
  3. Die dezimal-geometrische Reihe mit dem Stufensprung 5√10 nennen wir Reihe R 5.

Die Reihe R 5 wird meist dargestellt als 10; 16; 25; 40; 63; 100 oder mit dem Anfangsglied 1 als 1,6; 2,5; 4; 6,3; 10.

Entsprechend hat die Reihe R 10 den Stufensprung 10√10 = 1,2589 und besteht aus den 10 Gliedern (beginnend bei 10); 12,5; 16; 20; 25; 31,5; 40; 50; 63; 80; 100.

So enthält die Reihe R 10 genau einen Zwischenwert zwischen zwei benachbarten Gliedern der Reihe R 5, also doppelt so viele Glieder. Mit den Reihen R 20 und R 40 verhält es sich ebenso, die Stufensprünge werden immer kleiner, die Anzahl der Glieder verdoppelt sich.

Die Werte der einzelnen Glieder lassen sich auch als die ganzzahligen Potenzen mit dem Stufensprungwert als Grundzahl darstellen, z.B. für die R 10 mit dem Anfangsglied 1: 1,2589 0; 1,2589 1; 1,2589 2; 1,2589 3; 1,2589 4; 1,2589 5; 1,2589 6; 1,2589 7; 1,2589 8; 1,2589 9; 1,2589 10 oder anders ausgedrückt mit dem Stufensrung von 1,2589 = 10√10 = 10 0,1 : 10 0, 10 0,1, 10 0,2, 10 0,3, 10 0,4, 10 0,5, 10 0,6, 10 0,7, 10 0,8, 10 0,9, 10 10. Damit wird auch klar, dass Produkte oder Quotienten aus Gliedern einer Reihe wieder Glieder dieser Reihe sind, da die Multiplikation von zwei Potenzen mit gleicher Grundzahl der mit der Summe der Exponenten gebildeten Potenz der Grundzahl entspricht. Allgemein gilt: Für das f-te Glied einer dezimal-geometrischen Zahlenreihe ist die Mantisse gleich f-mal der Mantisse des Stufensprunges. Beispiel: die Mantisse des Stufensprunges der Normzahlenreihe R 20 ist 05, das 17. Glied hat also die Mantisse 17 * 05 = 85. Mit der Kennziffer 0 und der Mantisse 85 ergibt sich für den Numerus 7,1, was dem 17. Glied der R 20 entspricht.

Auf den Normzahlen-Maßstäben der Firma Aristo NZ 1367 und NZ 1364, deren Zahlenstrahl übrigens einer Teilungslänge von 25 cm entspricht, sind die Reihen R 10, R 20 und R 40 zusammen mit einer Mantissenskala aufgetragen. Unter der Mantisse .85 lässt sich in der Zeile R 20 als Numerus 7.1 ablesen. Aristo beschreibt in seinen Anleitungen im Zusammenhang mit dem NZ 1367 – beigelegt wahrscheinlich vor 1966 – den Zweck des NZ-Maßstabes so: "In erster Linie soll die NZ-Skala eine Gedächtnisstütze sein, so dass sie gebräuchlichsten NZ-Werte immer zur Hand sind. Die Markierungen in den Maßstäben sind eine wertvolle Hilfe zum Abtragen von NZ-Werten in Konstruktionszeichnungen, ferner sind sie praktisch für die Herstellung einfach- und doppeltlogarithmischer Netze auf gewöhnlichem karierten Papier für übersichtliche nomographische Auswertungen. Auch für Überschlagsrechnungen wird die NZ-Skala gern benutzt."

Zum Rechnen mit den NZ-Skalen wird in der gleichen Broschüre – Anleitung zum Rechenstab Studio mit dem Herstellungscode IX/AROS/AO – ausgeführt: "Die Vereinigung von Normzahlen und Mantissen in einer Skala hat den Vorteil, dass logarithmische Überschlagsrechnungen sehr vereinfacht werden, denn den Normzahlen stehen in der Mantissenskala einfache Logarithmen gegenüber, die leicht im Kopf addiert oder subtrahiert werden können. Durch Hinzufügen der Kennziffern (wie beim Rechnen mit der Logarithmentafel) erhält man ein im Stellenwert richtiges Ergebnis, das um höchstens 3% ungenau ist, wenn man die Reihe R 40 in die Rechnung einschliesst."

Während der NZ 1367 einseitig bedruckt wurde und meist in Kombination mit einer Tabelle A, die zahlreiche Umrechnungsfaktoren aufweist, auf einem extra Streifen ausgeliefert wurde, ist der NZ 1364 zweiseitig bedruckt. Dessen Rückseite enthält die Inhalte der Tabelle A in modifizierter und ergänzter Form.

Von der Firma Nestler liegen mir zwei unterschiedliche Maßstäbe bei den Duplex- Rechenschiebern Multimath, Polymath, Rietz und Electronic I vor. Auf beiden Maßstäben sind die Normzahlen der Reihen R 5, R 10, R 20 und R 40 sowie der internationalen Reihen E 6 (6√10), E 12 (12√10) und E 24 (24√10) in tabellarischer Form aufgedruckt. Die Toleranzen werden für E 8 mit 20 %, für E 12 mit 10 % und für E 24 mit 5 % angegeben. Bei dem einen, längeren Typ mit aufgeklebtem Kleinschraubenzieher, befinden sich die Tabellen auf der gleichen Seite, bei dem anderen kürzeren 26 cm-langen Maßstab sind die Tabellen auf Vor- und Rückseite verteilt und enthalten auch das griechische Alphabet.

In einer Polymath Duplex Anleitung (wahrscheinlich der jüngeren Version) steht auf der letzten Seite folgendes zu lesen: "3. Maßstab mit internationaler und DIN –Normzahltabelle; Der jedem Rechenstab beiliegende Kunststoff-Streifen dient einmal als einfacher Zeichenmaßstab, zum anderen als Normzahltabelle. Die Seite mit cm-Teilung trägt die Normzahlen der DIN-Reihen R 5, R 10, R 20, R 40, und eine Tabelle der genannten Bezeichnungen für Vielfache und Teile von Einheiten. Die andere Seite mit der Zoll-Teilung trägt die Normzahlen der internationalen Reihen E 6, E 12, E 24 nach ISO (International Organization for Standardization), eine Tabelle für die DECIMAL EQUIVALENTS, und Groß- und Kleinbuchstaben des griechischen Alphabets."

Von Faber-Castell und anderen Rechenschieberherstellern sind mir Normzahlen-tabellen als Beilagen zu Rechenschiebern nicht bekannt.

Dr. Klaus Kühn



Nachtrag:
Durch unseren Sammlerfreund Dieter von Jezierski sind wir auf den Pegelrechner db-Fix (s. Abbildung) hingewiesen worden, den Faber-Castell für die Firma Wandel&Goltermann gefertigt hat.


 

Diese Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und basieren lediglich auf den dem Autor vorliegenden Exemplaren und Unterlagen.

Eugen Paulin geht in seinem folgenden Aufsatz "Logarithmen, Normzahlen, Dezibel, Neper, Phon – natürlich verwandt !" etwas mehr auf die Geschichte der NZ ein und wartet vor allem mit zahlreichen praktischen Anwendungsbeispielen auf.

Ein Teil der Literatur zu diesen beiden Aufsätzen stammt aus dem Archiv der Familie Dennert und ist dankenswerterweise für die Erarbeitung zur Verfügung gestellt worden.