350 Jahre Rechenschieber,

und was die Region Zürich dazu beigetragen hat

Heinz Joss

Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte in der »Vierteljahreszeitschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich«, Nr. 2 - 3/2001

 

0.1 Zusammenfassung

Der Rechenschieber, meist in den Bauformen Rechenstab, -scheibe und -walze, war während rund 350 Jahren das verbreitetste Rechengerät, bis ihm in den 1970er-Jahren der Elektronenrechner ein abruptes Ende bereitete. Der Artikel zeigt die Entwicklungsgeschichte des Rechenschiebers, seine Bauformen, seine Skalensysteme und seine geographische Verbreitung im Zeitverlauf, um dann die Beiträge der Region Zürich auf dem Gebiet des Rechenschiebers zu beschreiben.

Beides, die allgemeine Entwicklung des Rechenschiebers und die zürcherischen Beiträge in der Marktnische der Rechenwalzen und -scheiben sind weitgehend unbekannt. Ihre Erforschung und Dokumentierung sind Hobbytätigkeiten des Autors. Er ist für jeden Hinweis dankbar, der ihm hilft, seine Kenntnisse auf diesen Gebietes zu ergänzen.

 

0.2 350 years of slide rule history and the contributions made by the Zurich region

The slide rule - in straight, circular and cylindrical form - was the most widespread calculating device for some 350 years, before being abruptly superseded in the 1970s by the electronic calculator. This article begins by outlining the slide rule's development, its different forms, scale systems and geographical dissemination during this period. The second section then examines the role played by the Zurich region in the slide rule's evolution.

Little is known about either the general development of the slide rule or the significance of Zurich-based manufacturers, specially in the market niche for cylindrical and circular slide rules. Research and writing in this fields are a passionate hobby of the author, who would appreciate any information that might help him add to his knowledge.

 

0.3 Key words

Abakus - Datenschieber - Gunter's scale - Logarithmen - Proportionalzirkel - Rechenscheibe - Rechenstab - Rechentafel - Rechenwalze

 

1 Einleitung

Noch zur Zeit unserer Urgrosseltern war das Rechnen eine Kunst, insbesondere das Multiplizieren oder gar das Dividieren. Um das Rechnen zu erleichtern, hat es in der Geschichte der Menschheit bereits sehr früh Hilfsmittel gegeben.

Der Abakus («Zählrahmen») hat sich von Mesopotamien aus über das alte Rom weiter nach Asien verbreitet, wo er in Russland, China, Japan, Vietnam und Indonesien heute noch in Gebrauch steht. Bei uns hat er in Form des Rechentisches oder -tuches und losen Rechenpfennigen bis zum Übergang vom Linienrechnen mit den römischen zum schriftlichen Rechnen mit den arabischen Zahlen gedient.

Der Proportionalzirkel war ein Rechengerät der Renaissance. Skalen auf zwei gelenkig miteinander verbundenen Schenkeln gestatten, mit Hilfe eines Stechzirkels Proportionsrechnungen durchzuführen.

An den Rechenschieber werden sich ältere Leser noch erinnern; Mitte der 1970er-Jahre wurde er abrupt vom Elektronenrechner verdrängt. Wer heute jünger als 40 Jahre ist, hat vielleicht noch nie einen Rechenschieber gesehen. Beide «Generationen» haben kaum eine Vorstellung von Geschichte und Bedeutung dieses gescheiten Recheninstruments, das während 350 Jahren grösste Verbreitung hatte.

 

2 Die Geschichte des Rechenschiebers

Ein wesentlicher Schritt zu effizienterem Rechnen war die Entdeckung der Logarithmen durch den schottischen Mathematiker John Napier (1550 - 1617), oft latinisiert Neper genannt. Die Logarithmen erlauben es, den Schwierigkeitsgrad der Multiplikation auf jenen der Addition zu reduzieren, den der Division auf jenen der Subtraktion. Das logarithmische Rechnen mit den umfangreichen Tafeln blieb aber eine mühsame Tätigkeit und den mathematisch Gebildeten vorbehalten.

Der Engländer Edmund Gunter (1581 - 1626), Pfarrer, Mathematiker und Astronom, hat 1620 die Logarithmen als Skala auf einer zwei Fuss langen hölzernen Zeichenschiene aufgetragen. Diese Gunter's Scale erlaubte graphisches logarithmisches Rechnen: Mit Hilfe eines Stechzirkels wurden die Zahlen auf der Skala abgegriffen. Der Gunter-Stab war zwar noch kein Rechenschieber, aber doch dessen unmittelbarer Vorläufer.

Der Engländer William Oughtred (1575 - 1660), Pfarrer und Professor für Mathematik, war der Erfinder des Rechenschiebers: Um das Jahr 1630 hat er die Erfindung Gunters weiterentwickelt, indem er die logarithmischen Skalen auf zwei Stäbe aufgetragen hat, welche, lose nebeneinander gelegt und gegeneinander verschiebbar, den ersten wirklichen Rechenschieber darstellten; der Stechzirkel erübrigte sich nun.

Noch eine nachträgliche Bemerkung zu Napier und der Entdeckung der Logarithmen: Dass der Schweizer Uhrmacher, Mathematiker und Astronom Jost Bürgi die Logarithmen schon früher entdeckt hatte, ist in Bezug auf die Geschichte des Rechenschiebers ohne Bedeutung, da Bürgis Entdeckung weder Napier noch Gunter und Oughtred bekannt war.

Zurück zum Rechenschieber: Er war nach seiner Erfindung rund 350 Jahre lang das wohl am stärksten verbreitete Rechengerät; erst in den 1970er-Jahren setzten ihm die elektronischen Rechner ein Ende. Seither werden nur noch ganz ausnahmsweise Rechenschieber gebaut und verwendet.

 

3 Die Bauformen des Rechenschiebers

Das Prinzip des Rechenschiebers besteht darin, dass zwei oder mehr Skalen auf einem zwei- oder mehrteiligen Körper so angebracht werden, dass sie aneinander verschiebbar sind. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um logarithmische und trigonometrische Skalen.

Bereits Oughtred legte 1630 seine Erfindung des Rechenschiebers sowohl mit geraden als auch mit kreisförmigen Skalen vor und schuf damit die zwei Rechenschieberformen, die später vorherrschen sollten, den Rechenstab und die Rechenscheibe.

Der Rechenstab war stets die verbreitetste Form. Er wurde meist, terminologisch nicht ganz korrekt, als Rechenschieber bezeichnet. Rechenschieber ist eigentlich der Oberbegriff sämtlicher Bauformen. Die Vorrangstellung des Rechenstabs hatte vorwiegend herstellungstechnische Gründe. Gerade Bauteile, ein zweiteiliger Körper mit einer dazwischen laufenden verschiebbaren Zunge, waren leichter zu bauen als kreisrunde Scheiben, und eine gerade Skala logarithmisch zu teilen war einfacher als das Teilen einer kreisförmigen Skala. Die Rechenscheibe hat sich erst viel später einigermassen durchzusetzen vermocht, als die herstellungsbedingten Probleme technisch zu bewältigen waren. Die Scheibe weist vor allem den Vorteil der in sich geschlossenen Skala auf, die einem kontinuierlichen Rechnen entgegenkommt.

Neben Rechenstab und -scheibe gab es noch die Bauformen Rechenwalze, Rechenring und -rad sowie Rechenuhr. Auf die Walze ist wegen ihrer Bedeutung für den Raum Zürich noch näher einzutreten: Die Genauigkeit des Rechenschiebers ist zur Hauptsache Funktion seiner Skalenlänge; deshalb wurde immer wieder versucht, bei gleicher Handlichkeit des Geräts längere Skalen zu verwirklichen. Die Rechenwalze kam dieser Zielsetzung am besten entgegen: Sie beruht auf der Idee, einen sehr langen Rechenstab in Einzelabschnitte aufzuteilen, die parallel zueinander auf einem Zylindermantel angeordnet werden. Während Rechenstäbe in der Regel Skalenlängen von 12,5 oder 25 cm aufwiesen, wurden Rechenwalzen mit Skalenlängen bis zu 24 m gebaut; sie waren während längerer Zeit wegen ihrer Rechengenauigkeit in Banken, Börsen und Finanzabteilungen von Grossbetrieben verbreitet.

 

4 Die Skalensysteme

Der spätere französische Artillerieoberst und Professor für Mathematik Amédée Mannheim (1831 - 1906) hat um 1850 eine Skalenkombination und -anordnung für Rechenstäbe entwickelt, die als erste eine grosse und herstellerunabhängige Verbreitung erfuhr. Die Vorderseite wies Grund- und Quadratskalen auf, die Rückseite der Zunge eine Sinus- und eine Tangensskala, für welche die Zunge gewendet werden musste. Das System Mannheim bildete einen ersten internationalen Standard und damit die Grundlage für die industrielle Rechenstabproduktion.

Der deutsche Ingenieur Max Rietz (1872 - 1956) ergänzte 1902 die Mannheimschen Skalen mit einer Kuben- und einer Mantissenskala; Indexlinien auf der Körperrückseite gestatteten, die Sinus- und Tangensskalen ohne Umdrehen der Zunge anzuwenden. Das System Rietz war bis zum Ende der Rechenschieberproduktion eine der meistangewendeten Skalenanordnungen und hat das System Mannheim völlig verdrängt.

1934 wurde das System Rietz nochmals weiterentwickelt: Die TH Darmstadt erarbeitete eine neue Skalenauswahl und -anordnung; die Vorderseite wurde mit einer pythagoreischen Skala (Ö 1-x2) ergänzt, die Mantissenskala auf die hintere Längskante verschoben, die Sinus- und Tangensskalen auf die vordere, so dass die Zungenrückseite für drei Exponentialskalen frei wurde. Diese Verbesserungen kamen den Bedürfnissen der Ingenieure entgegen; dem Vater des Systems Darmstadt, Prof. Alwin Walther (1898 - 1967), haben seine Mathematikerkollegen deshalb vorgeworfen, die Mathematik an die Ingenieure verraten zu haben. Das System setzte sich aber durch und blieb bis zum Ende der Rechenschieberära neben dem System Rietz im Angebot der Hersteller.

 

5 Länder und Hersteller

Nach deren Erfindung nahm sich in England eine Vielzahl von Instrumentenmachern des Baus von Rechenschiebern an. Buchsbaumholz war der Hauptwerkstoff; bei teureren Ausführungen trat Elfenbein an die Stelle des Holzes, da der Kontrast zur schwarzen Skalengravur die Lesbarkeit verbesserte (Abb. 1). Neben den mathematischen Skalen gab es anwendungsbezogene Spezialskalen. Es war die Epoche der Einzelanfertigungen und der Kleinstserien. – Ausserhalb Englands wurden Rechenschieber bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts kaum bekannt.

Nach dieser englischen Periode folgte eine französische (ca. 1800 bis 1880). Die Firmen Barbotheu, Lenoir und später Tavernier-Gravet erlangten mit ihren Produkten Weltruf. Auch der erwähnte Entwicklungsbeitrag Mannheims dürfte zum Ansehen der französischen Rechenschieber wesentlich beigetragen haben (Abb. 2).

Die Importsperre des deutsch-französischen Krieges gab der deutschen Industrie den Impuls, ab 1870 eine eigene Rechenschieberproduktion aufzuziehen. Die Hersteller Dennert & Pape (ab 1936 unter der Marke Aristo), Faber-Castell und Nestler, gehörten in der Folge weltweit zu den bedeutendsten Produzenten. Dennert & Pape entwickelte gegen 1890 den dann für Jahrzehnte vorherrschenden Holzstab mit Zelluloidauflage. Ab 1936 kamen sehr langsam Vollkunststoff-Rechenstäbe auf.

Zu den genannten deutschen Firmen gesellten sich die US-amerikanischen Firmen Dietzgen, Keuffel & Esser und Picket & Eckel sowie die japanische Firma Hemmi mit der Marke Sun, alle mit Weltruf. Die Japaner haben übrigens als Einzige Rechenstäbe aus Bambus gebaut, einem dazu ganz hervorragend geeigneten Material.

 

6 Schweizerische Rechenschieber auf dem Weltmarkt

In der Schweiz haben nur wenige Marken internationale Bedeutung erlangt: Die Firmen Billeter, Daemen-Schmid, später in Loga umbenannt, und National. Bei allen stellten die Rechenwalzen, bei Billeter und Loga auch die Rechenscheiben, Schwerpunkte von Produktion und Export dar; mit diesen zwei Bauformen besetzten sie eine Marktnische und behaupteten sich so gegen die grossen ausländischen Hersteller, deren Schwergewicht bei der Produktion von Rechenstäben lag. Allein Loga hat nach eigenen Angaben Zehntausende von Rechenwalzen hergestellt und in alle Welt verkauft. - War es ein Zufall, dass diese Hersteller alle ihren Standort im Raum Zürich hatten, oder war es eine Folge der Bedeutung Zürichs in den Bereichen Handel, Technik und Wissenschaft?

Meine Sammler- und Forschertätigkeit der letzten Jahre hat dazu geführt, dass mir heute Dutzende von Namen schweizerischer Personen und Firmen bekannt sind, die Rechenschieber entwickelt oder hergestellt haben. Von internationaler Bedeutung waren jedoch nur die erwähnten Zürcher Marken.

 

7 Aus der Geschichte der Zürcherischen Rechenwalzen-Hersteller

7.1 Die Zürcher Firmen Billeter und National

In nachgelassenen Schriften aus dem Besitz der Familie Billeter wird der Seidenfabrikant Julius Billeter (1828 - 1914) als Erfinder von Rechenscheiben, -tafeln und -walzen erwähnt, wobei diese Erfindungen in die Zeit von 1879 bis 1885 datiert werden.

Rechentafeln sind eine heute kaum mehr bekannte weitere Form des Rechenschiebers: Über einer logarithmischen Skala, angeordnet in vielen kurzen, parallelen und einander überlappenden Abschnitten, wird zum Rechnen eine Glasplatte mit denselben logarithmischen Skalenteilen horizontal und vertikal verschoben. Die Rechentafel ist der direkte Vorläufer der Rechenwalze. Rechentafeln aus Billeters Produktion sind meines Wissens nur zwei erhalten geblieben; ihr Aussehen und ihre Funktionsweise ist auch aus Patentschriften bekannt.

Julius Billeter gründete 1888 in Zürich eine Rechenwalzenfabrik, die erste schweizerische Fabrik, die sich auf Rechenschieber spezialisierte. Julius' Sohn Ernst Billeter (1858 - 1941) liess im Jahre 1912 die Firma ins Handelsregister eintragen; er leitete damals diese Firma zusammen mit seinem Bruder Max. 1917 wurde sie aufgelöst.

1916 gründete Bernhard Rubinstein in Zürich die Firma «National Rechenwalzen Aktien-Gesellschaft»; über ihn ist nichts bekannt. Bereits 1917 schied er aus der Firma aus; verantwortlich für die National war nun Max Billeter (1890 - 1967). 1934 wurde sie, nach 18-jähriger Tätigkeit, geschlossen.

1921, vier Jahre nach der Auflösung der Ernst Billeter & Co., der Firma seiner Söhne Ernst jun. und Max, und fünf Jahre nach der Gründung der National Rechenwalzen AG, die nun vom Sohn Max betrieben wurde, wagte der 63-jährige Vater Ernst Billeter nochmals einen Neubeginn: Er gründete die Firma «Ernst Billeter-Bossert, Fabrikation von Rechenwalzen und Blitzrechnern»; die Firma bestand bis 1942 (Abb. 3).

Von der Geschäftstätigkeit der Billeter-Firmen und der National ist wenig bekannt. Lediglich aus den Jahren 1937 bis 1941 sind handgeschriebene Briefentwürfe von Ernst Billeter erhalten, die vom Verkauf von Rechenscheiben und -walzen in viele Länder zeugen: Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Irland, Italien, Jugoslavien, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Tschechoslowakei, Ungarn und die USA sind erwähnt. Unter den Stammkunden dominierten Firmen der Textilindustrie (aus der die Billeter ja selber stammten); aber auch Banken, öffentliche Verwaltungen, Versicherungen u.a. haben sich der Rechenscheiben und -walzen bedient und Büromaterialhändler wurden als Zwischenhändler beliefert. Ab 1941 gingen die Auslandsbeziehungen zufolge des 2. Weltkriegs verloren, und die Geschäftstätigkeit schlief ein.

Von den Produkten der Firmen Billeter und National sind nur wenige Exemplare erhalten geblieben. Bekannt sind Rechentafeln, -scheiben und -walzen von Billeter, von National dagegen nur Rechenwalzen.

 

7.2 Die Zürcher Firmen Daemen-Schmid und Loga

Im Jahre 1896 wanderte der Textilkaufmann Heinrich Daemen-Schmid (1856 - 1934) aus dem damals preussischen Rheinland in die Schweiz ein und liess sich in Zürich-Unterstrass nieder. In einer Mansarde in Zürich baute er ab 1900 Rechenwalzen; die ältesten erhaltenen Exemplare tragen neben seinem Namen den Vermerk «Rekonstruktion nach Julius Billeter», es wurde also offenbar geistiges Eigentum von Julius Billeter in Daemen-Schmids Produktion eingebracht.

1903 zog Daemen-Schmid nach Zürich-Oerlikon, wo er eine spezialisierte Konstruktionswerkstätte mit eigener Lithographie- und Gravierabteilung einrichtete, wie er stolz verkündete. 1911 verlegte er seinen Firmenstandort nach Uster, mit einer nochmaligen Erweiterung der Fabrikationsstätte. Der Firmenname Heinrich Daemen-Schmid wurde 1915 im Handelsregister in Loga geändert; die Bezeichnung Loga ist allerdings auf den Produkten bereits ab ca. 1903 benützt worden.

Heinrich Daemen-Schmid hatte neun Kinder; die meisten von ihnen waren entweder in der Firma Loga oder auf verwandten Gebieten tätig (Handel mit Rechengeräten aller Art). Ständige Familienzwistigkeiten führten aber zu immer wieder neuen Konstellationen in den Beziehungen der Daemen untereinander sowie in und zu der Firma Loga.

Heinrich Daemen-Schmid war der alles beherrschende Stammvater sowohl der Familie als auch der Firma. Nach seinem Tod 1934 übernahmen einige der mit dem Vater völlig entzweiten Söhne die Firma, welche in einer schweren wirtschaftlichen Krise steckte. Eine Treuhandfirma, die zuhanden der Aktionäre - alles Mitglieder der Familie Daemen - die Lage zu beurteilen hatte, bezifferte den Firmenwert auf den Alteisenwert der Maschinen. Anfangs der 1970er-Jahre, nach einem kurzen Höhenflug, geriet die Loga aber erneut in wirtschaftliche Schwierigkeiten. 1979 kam das endgültige Aus: Das Fehlen eines zweiten Standbeins wurde der Firma zum Verhängnis.

Die Produktion der Firmen Heinrich Daemen-Schmid und Loga umfasste Rechenstäbe, Rechenwalzen und Rechenscheiben. Die Rechenwalzen waren bis in die 1930er-Jahre das vorherrschende Geschäft. In einem alten Prospekt wird erwähnt, dass bereits 30 000 Logawalzen im Einsatz stünden, in einem anderen steht «So gibt es wohl 1922 kaum eine wichtige Bank in Budapest, Wien, Berlin, Paris, London und New York, welche sich nicht der Ustermer Devisenwalze bedient». Es hat in den 1920er-Jahren sogar eine Fabrikations- und Verkaufsniederlassung in Berlin gegeben. In den 1930er-Jahren begann die Umstellung der Produktion von Rechenwalzen auf Rechenscheiben (Abb. 4 und 5).

 

7.3 Billeter/National und Heinrich Daemen-Schmid/Loga:

Gemeinsamkeiten und Beziehungen

Bis heute besteht keine Klarheit darüber, ob zwischen den beiden Firmenpaaren überhaupt eine Beziehung bestanden hat.

Auffallend sind aber gewisse Gemeinsamkeiten. So waren beide Firmengründer (Julius Billeter bzw. Heinrich Daemen-Schmid) Textilfachleute. Beide Seiten haben später behauptet, der Beginn der Tätigkeit auf dem Gebiet der Rechenschieber sei das Jahr 1888 gewesen, was in beiden Fällen nicht nachgewiesen werden kann. Beide waren in der Region Zürich tätig. Während man sich in der Familie Billeter zu erinnern meint, Heinrich Daemen-Schmid sei einmal Angestellter bei Billeter gewesen, ist davon bei der Familie Daemen nichts bekannt.

Sowohl Julius Billeter als auch Heinrich Daemen-Schmid haben sich als Erfinder der Rechenwalze ausgegeben und sind später auch von ihren Nachkommen als solche bezeichnet worden. Auch Ernst Billeter hat sich mit diesem Attribut geschmückt. Offenbar genügte allen ein Patent auf eine Rechenwalzeneinzelheit, um sich grad als Erfinder der Rechenwalze als solcher zu empfinden.

Zylindrische Rechenschieber sind aber in der Literatur schon vor 1888 erwähnt, so dass weder Daemen-Schmid noch Billeter als Erfinder der Rechenwalze gelten können, sie haben aber zu Verbesserungen dieses Geräts beigetragen.

Der damals wohl bestinformierten Kenner der Rechenschieberszene, der Schweiz-Amerikaner Florian Cajori (ursprünglich Cajöri), Professor für Geschichte der Mathematik und Dekan an der University of California, hat 1919 sowohl Julius Billeter als auch Heinrich Daemen-Schmid und deren Rechenwalzen erwähnt. Auf allfällige Beziehungen zwischen den beiden weist Cajori jedoch nicht hin; als Zeitgenosse hätte er wohl Kenntnis davon gehabt.

 

7.4 Weitere Rechenschiebernamen aus dem Raum Zürich

Der Zürcher Astronom, Physiker und Mathematiker Johann Kaspar Horner (1774 - 1834) entwickelte einen Rechenstab mit doppelter Skalenlänge, vermutlich einer geteilten Skala. Davon ist bisher kein Objekt gefunden worden. - Horner war auch bewundernswerter Förderer des Schwyzers Felix Donat Kyd (1793 – 1869), der als Autodidakt wohl als erster Schweizer serienmässig Rechenstäbe hergestellt hat; von ihnen sind ebenfalls keine erhalten, wohl aber eine ausführliche Beschreibung.

Leonhard Pestalozzi (1786 - 1864), Bankfachmann, Finanz- und Währungspolitiker, hat sich für persönliche Bedürfnisse einen Rechenstab zur Währungsumrechnung gebastelt. Obwohl dieses Gerät nur ihm selber gedient hat, ist es in die Rechenschieberliteratur eingegangen. Auch dieser Stab ist nicht erhalten.

Karl Culmann (1821 - 1881), Professor an der ETH in Zürich, widmete in seiner berühmten «Graphischen Statik» ein Kapitel dem Rechenschieber, der offenbar damals in der Schweiz noch wenig gebräuchlich waren.

Ludwig von Tetmajer, auch er Professor an der ETH, war Initiant eines Nachdrucks von Culmanns «Graphischer Statik»; er ergänzte dabei das Rechenschieber-Kapitel und ging damit ebenfalls in die Rechenschiebergeschichte ein.

Hans Heinrich Peter (1875 – 1931) war Erfinder eines doppelt logarithmischen Rechenstabs mit tachymetrischen Skalen, der er zuerst selber fertigen liess, der später aber als System Peter im Angebot von Nestler figurierte.

Silvio Masera aus Winterthur erhielt 1902 ein Patent auf einen Rechenstab mit Endlos-Skalenband; er wollte dem Rechenstab die Vorteile der Rechenscheibe verleihen, die in sich geschlossene Skala. Ob sein Rechenstab je gebaut wurde, ist nicht bekannt; jedenfalls wurde kein solcher Stab gefunden.

Wilhelm G.G. Weber, Zürich, war Hersteller eines topographischen Rechenschiebers System Hofer & Brönnimann.

Walter Schaad, Zürich, erhielt 1921 ein Patent auf einen Rechenstab mit zwei Mantissenskalen, mit deren Hilfe auch addiert und subtrahiert werden kann, was logarithmische Rechenstäbe sonst eigentlich nicht können.

Eine Firma Emil Pfenninger & Co. in Zürich war entweder selber Hersteller von Rechenstäben oder hat mit solchen eines noch nicht identifizierten Herstellers gehandelt.

Jakob Huber, Winterthur bzw. Zürich, erhielt 1923 ein Patent auf Datenschieber. Seine Firma Normus ist für ihre Schiebetabellen international bekannt geworden. Sie waren nicht eigentliche Rechner, sondern boten für ganz spezifische Zwecke an sich bekanntes Zahlenmaterial als systematisierte Arbeitshilfe an.

Ungefähr aus der selben Zeit stammt eine kleine Rechenscheibe Autometer von P. Landis, Automobiles, in Zürich. Sie diente der Umrechnung zwischen den die Leistung bestimmenden Grössen von Automotoren (Abb. 6).

Zu Ende des 2. Weltkriegs, als man annehmen durfte, die technische Entwicklung des Rechenstabes und der Rechenscheibe sei abgeschlossen, kam der Zürcher Ingenieur Walter Hiltpold mit einer neuen Bauform, einer halbrunden Scheibe, auf den Markt (Abb. 7). Seinem tragischen frühen Tod ist es wohl zuzuschreiben, dass sich die Idee nicht durchzusetzen vermochte.

Ein Textilrechenstab der Firma Rieter, Winterthur, ist bekannt.

Die Firma Zellweger Uster AG hat eine Rechenscheibe nach dem sog. Smith-Diagramm herausgebracht. Zellweger, heute Uster genannnt, hat weiter Textilrechenstäbe und -scheiben für die Kunden hergestellt.

Heute noch erhältlich ist die Hydro-Rechenscheibe von Georg Kisseleff in Küsnacht/ZH (Abb. 8).

Die Uhrenfirma Ventura Design on Time in Volketswil dürfte die einzige Zürcher Firma sein, die heute noch Rechenschieber herstellt, nämlich Rechenuhren, entworfen vom Zürcher Designer Hannes Wettstein.

 

8 Quellen und Literatur

Jezierski, D. von. 1997 und (2. Aufl.) 2000. Rechenschieber, eine Dokumentation – Selbstverlag, Stein b. Nürnberg, 110 pp.

Joss, H. 1998. Messrechnen: 350 Jahre Rechenschieber – Elem. Math., Bd. 53, 73 - 78

Joss, H. 1998 und (2. Aufl.) 2000. Schweizerische Rechenschieber auf dem Weltmarkt: Die Firmen Billeter und National sowie Daemen-Schmid und Loga. In «4. Internationales Treffen der Rechenschiebersammler, Tagungsbericht» - H. Joss, pp 49 - 58 - Selbstverlag, Dällikon, 90 pp.

Joss, H. 1998 und (2. Aufl.) 2000. Schweizerische Personen, Firmen und Marken aus Geschichte und Gegenwart des Rechenschiebers. In «4. Internationales Treffen der Rechenschiebersammler, Tagungsbericht» - H. Joss, pp 59 - 66 - Selbstverlag, Dällikon, 90 pp.

Joss H. 2000. Geschichte des Rechenschiebers – SI+A, 116. Jg., pp. 356 - 363.

Joss, H. 2000. Rechenwalzen, die Rechenschieber mit den langen Skalen. In «1. Symposium zur Entwicklung der Rechentechnik» - W.H. Schmidt und W. Girbardt, pp. 11 - 33 – Ernst Moritz Arndt Universität, Greifswald, 120 pp.

Joss, H. 2000. A Tablet Slide Rule by Julius Billeter - Journal of the Oughtred Society, Vol. 9, No. 2, p. 27.

Schoeck-Grüebler, E. 1998 und (2. Aufl.) 2000. Felix Donat Kyd, ein schweizerischer Protagonist des Rechenschiebers. In «4. Internationales Treffen der Rechenschiebersammler, Tagungsbericht» - H. Joss, pp 23 - 30 - Selbstverlag, Dällikon, 90 pp.

Wirz, P., 1998 und (2. Aufl.) 2000. Die halbrunden Rechenscheiben von Walter Hiltpold. In «4. Internationales Treffen der Rechenschiebersammler, Tagungsbericht» - H. Joss, pp 39 - 48 - Selbstverlag, Dällikon, 90 pp.

 

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Adresse des Autors:
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Eine Kopie der Erstveröffentlichung, mit den acht im Text erwähnten Abbildungen illustriert, ist beim Verfasser erhältlich.