Ein Rechenstab, der keiner ist

Heinz Joss

 

Da habe ich einen wunderschönen Rechenstab erworben, der gar keiner ist. Er weist nämlich keine Zunge auf, sondern besteht bloss aus einem Körper und einem Läufer. Ich würde das Ding als eine Schiebetabelle bezeichnen, denn rechnen kann man damit nicht, sondern bloss die fest vorgegebenen Werte zueinander in Beziehung bringen.

Am rechten Ende ist angegeben «Zeilenmesser „Jdeal“ D.R.G.M.» Die Marke Jdeal ist mir nicht bekannt. Das D.R.G.M. deutet darauf hin, dass es ein deutsches Erzeugnis sein könnte.

Am linken Ende sind als Skalenbezeichnungen angegeben: Cicero, Garmond, Borgis, Petit, Kolonel, Nonpar (Verkürzung von Nonpareille) und Millimeter. Die erste und die letzte dieser Skalen liegen auf der hinteren bzw. vorderen Längskante.

Die Skalenbezeichnungen (mit Ausnahme von Millimeter) sind Schriftgrade aus der guten alten Zeit des Handsatzes (Bleisatz in Einzellettern nach der Methode von Gutenberg). Da die verschiedenen Schriftarten unterschiedliche Zeilenhöhen ergaben, brauchte der Schriftsetzer ein Hilfsmittel, um von einer Schriftart in die andere umzurechnen. Die Kennzeichnung der Schriftgrössen nach Punkten (sog. Didot-Punkte) war offenbar zur Zeit der Produktion des Zeilenmessers noch nicht üblich, sonst wäre mit Sicherheit auch eine Skala der Punkte mit aufgenommen worden.

Die Bauweise des Zeilenmessers ist einfach, aber sehr professionell. Der 34 cm lange Körper besteht aus Holz (ich halte es für Buchsbaum); die Skalen sind auf einem weissen Farbauftrag angebracht. Der Einstrich-Läufer besteht aus einem Aluminiumrahmen mit Glas; für die beiden Skalen auf den schrägen Längskanten sind zwei Indexe aus gebläutem Stahl angenietet.

Ich weiss nicht, wann der Zeilenmesser gebaut worden ist. Die Typographie der Markenangabe scheint mir auf eine eher frühe Herstellungszeit hinzuweisen: 1910 bis 1920? Für ergänzende oder korrigierende Angaben von andern Sammlern wäre ich dankbar.

 

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